07/02/2022 at 11:52 in Technik

Gary Kildall: Der Mann, der das PC-Betriebssystem erfand

Gary Kildall schuf mit CP/M die Grundlage für Microsofts MS DOS, aber Bill Gates gewann am Ende alles.

Gary Kildall war einer der frühen Pioniere des Personal Computing. Bevor er mit CP/M das erste PC-Betriebssystem schrieb, war professionelles Arbeiten mit einem eigenen Rechnerarbeitsplatz undenkbar und vor allem unbezahlbar. Kildall legte die Grundlagen für die Softwareentwicklung, wie wir sie heute kennen. Dabei war er ein bedeutender Teil des rasanten Aufstiegs der Mikroelektronik in den 1970er Jahren, bevor er in den 80ern von Bill Gates und Microsoft überholt - und übervorteilt - wurde.

Gary Kildall war ein schlechter Schüler. Wegen mangelhafter Noten in Englisch - seiner Muttersprache - musste er gar ein Jahr an der Queen Anne School in Seattle wiederholen. Er hatte Glück im Unglück: Als er sich nach den Sommerferien auf die Schulbank setzte, bemerkte er, dass seine neue Banknachbarin Dorothy McEwen ihm in Intellekt und Witz in nichts nachstand. Die beiden mussten wegen ihrer Gesprächigkeit im Klassenraum zwar schnell getrennt werden, blieben danach aber lange zusammen - als Ehepaar.

Nach der Schule schlug Kildall zunächst den Weg seines Vaters und Großvaters ein und wurde Lehrer am Kildall's College of Nautical Knowledge, wo er künftige Seefahrer auf die Offizierslaufbahn vorbereitete. Er bemerkte bald, dass ihn andere Themen mehr interessierten und beschloss, trotz seiner miesen Schulnoten in Washington zu studieren.

Entgegen aller Wahrscheinlichkeit wurde er an der Universität akzeptiert und verwandelte sich durch harte Arbeit in einen Einser-Studenten. Dabei halfen ihm die mathematischen Grundkenntnisse, die er sich an der Familienschule angeeignet hatte. Weil Berechnungen erstmals nicht mehr nur mit mechanischen Hilfsmitteln durchgeführt wurden, hatte er 1964 seinen ersten Kontakt zu Computern - und damit die Aufgabe seines Lebens gefunden.

 

"I saw a ton of sunrises over that Computer Center"

Auf einem raumfüllenden Burroughs B550 entdeckte er seine Leidenschaft für Compiler-Programme, die Nutzereingaben für den Computer verständlich machen. Da er mit der Instandhaltung des Rechners beauftragt worden war, hängte er zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens ein Schild auf: "Wartungsarbeiten". In dieser Zeit gehörte die Maschine nur ihm.

Sein Eifer zahlte sich bald aus, denn er wurde einer der ersten Absolventen der Universität Washington im Fachbereich Computerwissenschaften. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit der mathematischen Beschreibung von Code-Optimierung, der Grundlage jedes Compilers. Kildall war einer der wenigen Menschen zu dieser Zeit, die praktisches Wissen über die Funktionsweise von Computern besaßen und die theoretischen Grundlagen für ihre Verbesserung erkannten. Was er jedoch nicht hatte, war ein eigener Rechner.

"I'd never heard of this little chip company, called Intel, at the time"

Trotz seines privilegierten Zugangs zum Universitätscomputer war seine Zeit an der Maschine begrenzt. Das sollte sich ändern, als er vom ersten frei verfügbaren Mikroprozessor erfuhr. Leider waren dieser Chip und vor allem das benötigte Zubehör zur Programmierung noch immer viel zu teuer für sein mageres Gehalt als Assistenzprofessor.

Zwar sollte die 4004-CPU von Intel nur 25 US-Dollar kosten (wenn man 10.000 davon bestellte), allerdings gab es lediglich ein spärliches Programmiergerät, das damit funktionierte. Dessen Preis: 1.000 US-Dollar plus 700 US-Dollar für ein Teletype-Eingabegerät. Monitore waren Anfang der 1970er noch unüblich.

 

Kildall fand einen Weg, den Intel-4004-Mikroprozessor auf seinem damaligen Arbeitsrechner, einem IBM 370 zu simulieren und begann damit, Programme und Funktionen zu schreiben, ohne den Chip jemals in den Händen gehalten zu haben. Als er einem Intel-Mitarbeiter die Resultate präsentierte, bekam er im Gegenzug nicht nur seine eigene CPU samt Hardware, sondern auch noch einen Job als Berater für die aufstrebende Firma.

Der erste persönliche Computer

 

1972 hatte er aus dem Wust an Platinen, Kabeln und wiederbeschreibbaren Speicherchips einen tragbaren Rechner zusammengebaut, den er zu Demonstrationen mitnehmen konnte. Immer im Gepäck: das 30 Kilogramm wiegende Teletype-Monster, ohne das weder Ein- noch Ausgaben möglich waren.

Bei Intel war man zu dieser Zeit allerdings weder vom Personal-Computing noch vom Software-Geschäft überzeugt. Als Kildall einem Intel-Chef ein selbstgeschriebenes Spiel für sein blinkendes Ungetüm zeigte, meinte dieser trocken, dass die Zukunft in Digitaluhren liege - und wohl kaum in Computerspielen.

"It liberated software from hardware"

Gary Kildall verbrachte noch einige Zeit damit, seine Programmierkünste im Austausch gegen Intel-Hardware anzubieten. Als der Chiphersteller 1976 endlich das volle Potenzial seiner Technologie erkannte, zeigte sich jedoch schnell, dass die Vorstellungen über die Nutzung und die kommerzielle Verwertung weit auseinandergingen.

Kildall war Idealist, Intel sah das große Geschäft. Der Plan der Vermarkter war, zunächst ein Basis-Set für Entwickler für 8.000 US-Dollar herauszubringen, das mit einem veralteten Lochstreifensystem für 2.000 US-Dollar funktionierte. Wenn genügend davon verkauft waren, wollte Intel ein Diskettenlaufwerk für 2.500 und entsprechende Software für weitere 1.000 US-Dollar anbieten. Kildall protestierte: Aus seiner Sicht würde das den Fortschritt aufhalten.

Zu dieser Zeit hatte er jedoch schon sein erstes eigenes Produkt: eine Software, die unabhängig von der Hardware die grundlegenden Funktionen des Computers bereitstellte. Er nannte es Control Program/Monitor, kurz CP/M.

"I'm not into horoscopes, but what the heck"

Die ersten Testläufe fanden auf dem wohl ungewöhnlichsten System statt, das man sich vorstellen kann. Es handelte sich um einen Automaten, der Horoskope auf Jahrmärkten erstellen und ausdrucken sollte. Dessen Entwickler war dann auch dafür verantwortlich, dass es erstmals eine Sicherheitsabfrage gab. Er hatte zuvor versehentlich, statt mit "dir *.*" alle Dateien aufzulisten, durch Eingabe von "del *.*" alles gelöscht. Kildall änderte den Befehl zu "era" und gab der Nutzerschaft mit "Are You Sure (Y/N)?" etwas Bedenkzeit.

Um CP/M auf sämtlicher Hardware lauffähig zu machen, schrieb Kildall das erste Bios. Es stellte nach dem Start des Rechners die Umgebung für das Betriebssystem bereit und konnte für jeden Computer angepasst werden.

 

Es war an der Zeit, die Früchte seiner jahrelangen Bemühungen zu ernten.

Digital Research Inc.

 

Zusammen mit Dorothy gründete er Digital Research Inc., um CP/M zu vermarkten. Sie nahm ihren Mädchennamen McEwen an, um das Geschäft nicht so winzig anmuten zu lassen, wie es zunächst war. Dorothy war für Kommunikation und Rechnungswesen zuständig, Gary kümmerte sich um Programmierung.

Es war eine unbeschwerte Zeit, in der die Familie zunächst gut und dann sehr gut von den Software-Einnahmen leben konnte. Eines Tages rief sogar die Bank an, um sich zu vergewissern, dass die Einnahmen real waren - bei 85 Prozent Gewinnspanne war der zuständige Sachbearbeiter misstrauisch geworden.

Die Profite und das lockere Hippie-Klima in der Firma sorgten dafür, dass einige der besten Programmiererinnen und Programmierer bald bei DRI arbeiteten. So schrieb Kathy Strutynski an der Apple-Version und dem Nachfolger CP/M 2 mit ersten Multitasking-Funktionen - sie hatte sich mit Kildall angefreundet und eine Karriere bei Panam und einigen großen Beraterfirmen hinter sich gelassen.

Tom Rolander erinnerte sich später, dass er beim Vorstellungsgespräch ein Miniaturflugzeug auf Gary Kildalls Tisch bemerkte und ihn darauf ansprach - einige Minuten später waren die beiden auf dem Weg zum Flugplatz, wo Kildall mit Rolander einige Runden in der echten Maschine drehte. Rolander fing zwei Tage später bei DRI an. Er bekam den Beinamen "die Kanone" verpasst, weil man ihn lediglich in die ungefähre Richtung eines Programmierproblems ausrichten und zünden musste - ab dann arbeitete er nonstop an dessen Lösung.

 

"I have always felt uneasy around Bill"

Anfang der 1980er Jahre passierte etwas, das den Lauf der Dinge sowohl für Gary Kildall und DRI als auch für die restliche IT-Welt für immer verändern sollte.

IBM hatte zu diesem Zeitpunkt beschlossen, einen eigenen Personal Computer zu bauen. Obwohl der blaue Riese nach erster interner Schätzung bereits neun Monate benötigen würde, um lediglich die Verpackung zu entwerfen, ging das Projekt zügig voran.

Nach nur einem Jahr war die Hardware aus Standardkomponenten fertig - es fehlten nur noch ein Betriebssystem und eine Programmiersprache. Für Letztere kontaktierte IBM eine kleine Firma namens Microsoft, die BASIC bereits für mehrere Computerhersteller angepasst hatte. Ihr Chef namens Bill Gates verwies für ein Betriebssystem auf den Marktführer: DRI.

Als die IBM-Abordnung mit Schlips und Kragen vor der Tür von Digital Research auftauchte, hatten sie eine Verschwiegenheitserklärung mitgebracht, die sie Dorothy McEwen unter die Nase hielten. Darin stand, dass DRI nichts über die Gesprächsinhalte weitergeben dürfe, IBM hingegen alles. Außerdem würden alle Ideen und Informationen, die Gegenstand der Verhandlungen waren, fortan IBM gehören.

McEwen weigerte sich, das Papier zu unterzeichnen, was die Anzugträger vollkommen aus dem Konzept brachte. Was weder Dorothy noch Gary, der nach eigenen Angaben wesentlich später hinzukam, wussten: IBM wollte sein Projekt so lange wie möglich geheim halten, weil es - wie bereits erwähnt - aus Standardkomponenten bestand und somit leicht kopierbar war. Zunächst erschien der IBM-PC für Kildall lediglich als ein weiterer Computer. Ob dieser nun mit CP/M lief oder nicht war vermutlich eher nebensächlich.

MS DOS: Schnell und schmutzig

 

Nicht ganz so entspannt sah Kildall wenig später, was Microsoft inzwischen für den PC im Angebot hatte: ein eigenes System namens QDOS. Das kam aus der Nachbarschaft in Seattle und war von einem 24-Jährigen namens Tim Paterson auf Grundlage der Dokumentation von CP/M programmiert worden und in weiten Teilen CP/M-kompatibel. Das "Q" stand für "quick and dirty" - ein Anhaltspunkt für die Qualität des Klons. Microsoft hatte es für 50.000 Dollar gekauft.

Nachdem IBM die Verhandlungen mit Kildall als gescheitert erklärt hatte, kehrten sie zu Bill Gates zurück. Der spekulierte auf drei Optionen: Dass das hastig zusammengezimmerte Betriebssystem zeitig genug fertig würde, dass Gary Kildall ihn nicht wegen der frappierenden Ähnlichkeit des Codes verklagen würde und dass IBM das PC-Projekt nicht kurz vor der Marktreife einstellen würde. Alle drei Wetten gingen auf. Zu verlieren hatte Gates wenig - schließlich war er bei diesem Deal das kleinste Licht.

Dementsprechend sah die Vereinbarung mit IBM aus: Microsoft erhielt einen lächerlich geringen Betrag für die Lizenz des Systems, das im Vergleich zu CP/M zwar funktionsarm war, aber immerhin fristgerecht funktionierte. Was IBM zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: Die Zusatzklausel, die es Gates erlaubte, QDOS weiter zu lizenzieren, sollte Microsoft reich machen.

Das Unternehmen profitierte davon, dass das später MS DOS genannte Betriebssystem auch auf den Klonen der IBM-PCs lief und deren Hersteller natürlich die preiswerteste Software haben wollten. Die erfolgreichen Nachbauten von Compaq, Dell und HP legten für Bill Gates' Startup die Grundlage für Milliardengewinne.

IBM hatte dennoch Sorgen wegen einer eventuellen Klage von Kildall und bot ihm einen eigenen Handel an. Die Käuferschaft des IBM-PCs sollte selbst entscheiden können, welches System sie mit dem Computer geliefert bekämen. Was zunächst wie ein absolut sicherer Gewinn für Kildall mit seinem Industriestandard CP/M aussah, stellte sich als Falle heraus. Kildall stimmte zu und sah mit Entsetzen das Preisschild für seine Software an den ersten IBM-PCs im Schaufenster eines Computerladens: 240 US-Dollar - QDOS kostete 40.

Viel Geld und wenig Glück

 

Es war allerdings zu spät, um noch zu klagen. Einen hastigen Anruf bei IBM, um eine Preissenkung zu verhandeln, beantwortete der Konzern gar nicht erst. Gary Kildall war sowohl von IBM als auch von Microsoft über den Tisch gezogen worden.

Machte ihn dieser Verlust zum armen Mann? Wohl kaum. CP/M galt noch in den frühen 1980er Jahren als bestes System, DRI lief gut und Kildall war Millionär.

Hinter der Fassade des reichen Startup-Königs und Software-Genies nistete sich allerdings Verbitterung ein. Seine Ehe ging in die Brüche. Er arbeitete dennoch an einigen wegweisenden Projekten wie einer graphischen Oberfläche für Computer und übernahm die Ko-Moderation der Fernsehsendung The Computer Chronicles, die er mitunter nach eigenen Angaben nicht ganz nüchtern bestritt.

1985 war er kurz davor, DRI ausgerechnet an Microsoft zu verkaufen, die jedoch statt der geforderten 26 Millionen nur 10 Millionen US-Dollar zu zahlen bereit waren.

In einer ironischen Wendung führte das dazu, dass Digital Research mit DR DOS einen Klon des Microsoft-Betriebssystems auf den Markt brachte, der Anfang der 1990er Jahre bessere Funktionen bot und mit steigender Beliebtheit zum Ärgernis von Bill Gates wurde.

"I mean, after all, I was a Star!"

Die Nutzerschaft nannte es mitunter Dr. DOS, weil es die Kinderkrankheiten von MS DOS kurierte. Microsoft konterte hinterlistig: Das nagelneue Windows ließ sich auf Grund angeblicher Kompatibilitätsprobleme nur unter MS DOS starten. In Wahrheit führte Windows jedoch nur einen Check aus, der überprüfte, ob MS DOS lief und damit alle anderen System aussperrte.

1991 kaufte schließlich Novell Gary Kildalls Firma, die Übernahmesumme lag weit oberhalb dessen, was Kildall von Microsoft verlangt hatte: 120 Millionen US-Dollar war DRI inzwischen unter anderem wegen seiner Netzwerktechnologie wert. Mit Novell hatten sich Bill Gates und Microsoft nun auch einen Gegner größeren Kalibers eingehandelt. Nach zeitgenössischen Schätzungen kosteten die folgenden Monopol-Prozesse den Konzern bis zu einer halben Milliarde US-Dollar.

Gary Kildall blieb zu diesem Zeitpunkt die Anerkennung versagt, die er sich erhofft hatte. Er begann, seine Autobiographie zu schreiben, um damit das hartnäckige Gerücht aus der Welt zu schaffen, er sei 1980 lieber mit seiner Privatmaschine an den Strand geflogen, als die IBM-Abordnung zu empfangen.

Weil sich seine Gesundheit rapide verschlechterte, musste er die Fliegerei als Hobby aufgeben. Der Alkohol blieb hingegen - und trug vermutlich einen Teil zu seinem frühen Tod bei. Gary Kildall wäre im Mai 2022 80 Jahre alt geworden. Er starb aber bereits 1994 mit nur 52 Jahren unter nie ganz geklärten Umständen.

Quellen: Computer Connections (Gary Kildall, 1993), They Made America (Harold Evans, Gail Buckland, David Lefer, 2004), Fire in the Valley: The Birth and Death of the Personal Computer (Michael Swaine, Paul Freiberger, 2014)

Die Zwischenüberschriften sind dem Manuskript von Kildalls Autobiographie entnommen.

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